COPE
Das ist der Ursprung, das bedeutet das, hier sind ein paar Beispiele
Interview mit Berfîn Marx

Die Welt ist nicht einfach, und Versuche, sie zu sortieren, sind dringend notwendig. Berfîn Marx ist 22, lebt in Wien und macht politische Bildungsarbeit auf Instagram. COPE hat mit ihr über Vermittlung, Privilegien und Sprache gesprochen.

COPE  Wie ist es passiert, dass du so aktiv geworden bist?

BM  Ich habe eigentlich immer Aktivismus und Studium gemacht. Aktivismus, seit ich 15 bin. Ich wollte Architektur studieren und hab mich für Zeichnen interessiert. Aber 2015, als die Flüchtlingskrise Deutschland und Österreich erreicht hat, habe ich mich gefragt: Warte, was passiert gerade? Ich bin in einem sehr politischen Haushalt aufgewachsen. Mir wurden die Werte mitgegeben, aber bis zur Flüchtlingskrise hab ich es nie gecheckt. Und ich hab gedacht, dass meine Eltern auch Flüchtlinge sind, und mich gefragt, warum so über Flüchtlinge geredet wird. Plötzlich war ich in der aktivistischen Szene bei verschiedenen linken Organisationen. Dass ich auf Instagram gegangen bin, resultierte aus der Unzufriedenheit mit denen. In Österreich wollen viele junge Leute, die zur SPÖ gehen, Karrierepolitiker:innen werden. Die gehen da hin, um sich eine Reputation aufzubauen. Auch wenn ich das verstehe, hab ich Aktivismus nie betrieben, um Politikerin zu werden. Ich hab bemerkt, dass linke Organisationen nach wie vor sehr weiß gelesen werden, und obwohl viele Migrant:innen und BIPOC dabei sind, habe ich mich nicht gehört gefühlt. Ich hab oft Tone Policing mitbekommen: »Warum regst du dich so auf, es ist eh nicht so schlimm.« Wir können auch gern über Männer in linken Organisationen reden, die sich als feministisch ausgeben, aber dann Frauen erklären wollen, wie ihre Unterdrückung ausschaut, was sexistisch ist und was nicht. Diese Sachen sind mir auf die Nerven gegangen, und ich habe versucht, über Instagram Leute zu erreichen. Berfîn Marx war schon immer mein privater Account. Irgendwann habe ich angefangen, informative Slides für meine Freunde und Familie herzustellen, weil die ein Thema nicht verstanden hatten. Ich wollte es ihnen erklären. Dann gab es Beiträge, die sehr viral gegangen sind: einer zur Assimilationspolitik der Türkei und einer zu Feminismus. Darauf war ich nicht vorbereitet.

COPE  Wie hast du das dann verstetigt?

BM  Ich habe keinen Plan und keine Struktur – es ist oft sehr random. Letztens habe ich für eine Psychologieprüfung über den Zusammenhang von Glück und Geld gelernt. Ich fand das interessant, habe daraus eine Grafik erstellt und die gepostet. Dann gibt es wieder Momente, wo ich etwa ein Semester lang einen Kurs über intersektionalen Feminismus mache und nach sechs Monaten einen Post dazu mache. Das entscheide ich nach Zufall, eigenem Interesse oder den Wünschen der Follower:innen.

COPE  Wie wählst du da aus? Gibt es auch Sachen, wo du sagt, dass das nicht dein Fachgebiet ist?

BM  Absolut. Es gibt viele Themen, zu denen ich mich nicht stark äußere. Ich habe schon eine Meinung dazu, trotzdem habe ich das Gefühl, ich weiß nicht genug darüber. Das ist auch ein bisschen gefährlich, weil ich mich nicht zu allem äußern kann. Die Leute haben oft das Bild, dass ich urviele Infos zu verschiedenen Themen habe. Das stimmt schon irgendwo, aber es gibt bestimmte Konflikte, die viel zu komplex sind, um sie innerhalb einer Stunde zu verstehen. Bei diesen Themen muss man beispielsweise Betroffenen zuhören. Hier leite ich oft an andere Accounts weiter, von denen ich weiß, dass die sich auskennen.

COPE  Was sind deine Kriterien für einen verständlichen Beitrag?

BM  Ein Hauptkriterium ist für mich, dass er wissenschaftlich gut belegt ist. Ich gebe zwar nicht immer die Quellen bei den Posts an, aber ich speichere sie immer in meinen Notizen und schicke sie den Leuten privat. Ich bin keine Wissenschaftlerin, aber ich will schon, dass die Leute checken, dass es eine wissenschaftliche Quelle dazu gibt. Vieles kommt aus meinem Studium: Ich habe das Glück, coole Professorinnen zu haben, hauptsächlich Frauen, bei denen ich Dinge lerne, über die ich bis dato nichts wusste. Viel kommt zudem aus der Literatur – aber ich lese auch privat viel. Manchmal schicken mir Follower:innen per Mail Literaturtipps, was ich urcool finde.

Bei Instagram-Bildungsarbeit ist mir auch wichtig, dass ich komplexe Sprache möglichst vermeide. Nicht nur in der linken Szene, auch in der akademischen Bubble ist es so, dass wir mit Fachbegriffen rumwerfen und annehmen, dass das Gegenüber weiß, wovon wir sprechen. Megascheiße, weil die meisten Leute nicht wissen, was intersektionaler Feminismus oder Antikapitalismus ist. Was ist die Philosophie von Karl Marx? Ich kann nicht als linke Person annehmen, dass das alle wissen. Für mich ist deshalb eine einfache Sprache wichtig, die für viele Menschen zugänglich ist.

COPE  Eigentlich machst du ja Wissenschaftstransfer und trägst Dinge aus dem Elfenbeinturm raus. Ich stelle mir das aber auch anstrengend vor, weil hinter einem Begriff wie Intersektionalität ein ganzes Konzept steht.

BM  Das Blöde ist, dass ich auf Instagram begrenzt bin und nicht wie auf der Uni zehn Seiten schreiben kann. Ich muss immer schauen: Was ist das Wichtigste und nicht so kompliziert? Es gibt ja auch so viele Verzweigungen: Ich könnte Queerfeminismus und materialistischen Feminismus einbeziehen, aber es würde alles verkomplizieren. Deswegen versuch ich zu sagen: Das ist der Ursprung, das bedeutet das, hier sind ein paar Beispiele.

COPE  Was passiert in den Kommentaren auf deiner Seite?

BM  Ich glaube, zwei oder drei Mal hab ich Kommentare unter einem Post abgedreht, weil diskriminierende Sprache verwendet wurde – das will ich auf meinem Profil nicht dulden. Ich habe gar kein Problem damit, wenn Leute auf meiner Seite diskutieren, sich gegenseitig aufklären und austauschen – solange das auf eine respektvolle Art und Weise passiert. Oft ist es aber leider so, dass Rechte und Konservative da nicht mitgehen. Die glauben auch nicht an diskriminierende Sprache. Für sie ist das Standardsprache.

COPE  Du moderierst das selbst?

BM  Ja, es ist eh voll anstrengend, weil ich die Recherche, die Grafik und die Moderation mache. Es ist urviel Arbeit, die nicht erkannt wird. Mein Telefon gibt mir immer ein Update, und ich schäme mich sehr, aber es sind 13 Stunden am Tag. Ich mache oft Instagram-Pausen, weil ich das mental brauche. Aber ich merke auch so richtig die Entzugssymptome. Ich muss zu meinem Handy greifen. Auch wenn ich irgendwo herumgehe und irgendwas ist unangenehm, greife ich sofort zum Handy und tue so, als würde ich jemandem schreiben. Das Handy ist nicht nur ein Kommunikationstool für mich, sondern ein Escape von der Realität.

COPE  Ich kenne, dass es auf Dauer so reizüberflutet …

BM  Es ist voll arg, weil ich denke, dass die Leute früher nicht so schnellen und leichten Informationszugang hatten. Eigentlich ist es voll okay, dass wir überfordert sind. Es ist voll menschlich, dass uns das zu viel ist.

COPE  Ich frag mich auch immer, wie Leute nicht überfordert sein können und sich langweilen – wo es doch tausend Themen gibt, die wichtig sind. Zumindest betreibst du mit deiner Arbeit da eine Sortierung.

BM  Was viele nicht sehen, ist, dass dahinter viel emotionale Arbeit steckt. Ich bin kein Fan von der Annahme, dass Politik emotionslos, rational, sachlich, trocken ist. Ich studiere ja Politikwissenschaften, und da wurde uns das im zweiten Semester so mitgegeben. Aber ich sehe das überhaupt nicht so. Auch wenn ich mittendrin stecke, ist mir das erst viel zu spät aufgefallen. Unsere Obsession mit diesem Rationalen ist eigentlich kapitalistisch.

COPE  Und patriarchal.

BM  Weil die Arbeit sich am besten verrichtet, wenn Menschen rational sind und keine Emotionen zeigen. Wenn sie wie Roboter funktionieren, um Profite zu maximieren. Das wird auf verschiedenen gesellschaftlichen Ebenen so weitergegeben. Und da versuche ich dagegenzuwirken. Viele sagen dann, das sei so, weil ich eine Frau bin und Frauen halt emotionale Politik machen. Ich versuche, mental health anzusprechen, und verbinde meine Geschichte mit politischen Inhalten. Mir schreiben immer wieder Frauen und Mädchen und erzählen über Erfahrungen mit sexueller Gewalt, mit ihren Vätern und Ex-Partnern. Sich das durchzulesen und zu antworten, erfordert viel emotionale Arbeit. Vor allem, wenn keine Content Warnings gesetzt werden und das dann etwa schlimme Erzählungen von Vergewaltigungen sind. Das sind Nachrichten, die ich nicht untergehen lassen will, denn ich will nicht, dass diese Leute denken, sie werden nicht gehört. Andererseits ist das nicht meine Arbeit, weil ich keine Therapeutin bin. Ich weiß bis heute nicht, wie ich damit umgehen kann. Ansonsten kriege ich viele Hassnachrichten, Morddrohungen, Vergewaltigungswünsche. Erst heute hab ich wieder schreckliche Videos von einem Account bekommen, der meinen Namen benutzt. Es hat schon viele Schattenseiten. Generell ist für mich die Trennung von Politik und Entertainment schwer. Für mich war es irgendwann nur noch Politik – und ich hab gemerkt, dass das ungesund ist. Jetzt hab ich auch einen privaten Account, wo ich mein Essen teilen kann und nicht dafür gejudgt werde.

COPE  Natürlich ist es voll wichtig, die Betroffenen etwa an Frauenhäuser weiterzuvermitteln. Hast du da vorgefertigte Nachrichten?

BM  Es gibt eine Funktion, wo du vorgefertigte Nachrichten abschicken kannst – und das nimmt mir viel Arbeit.

COPE  Einerseits ist das weniger persönlich. Für eine Betroffene wäre es toll, zu merken, dass du ihr persönlich schreibst. Andererseits musst du natürlich auch auf deine Ressourcen achten.

BM  Das Ding ist auch, dass ich allein bin und keine Organisation hinter mir hab. Natürlich hab ich eine Community, aber ich bin nicht in direktem Kontakt mit denen – und das ist ein Nachteil. Bei politischer Praxis in Organisationen hast du Leute, die hinter dir stehen und sich etwa mit Rechtsanwält:innen auskennen. Das löst schon eine Einsamkeit in mir aus. Ich hätte gern eine Community, wo ich hingehen und sagen könnte: »Ich hab schon wieder Morddrohungen bekommen, mir geht’s scheiße damit.«

COPE  Einen Umgang damit zu finden, ist isoliert wahrscheinlich scheiße. Vielleicht bräuchtest du einen Gruppenchat – wobei noch ein Gruppenchat wohl nicht die Lösung ist.

BM  Ich weiß auch nicht, wie das zu bekämpfen ist. Das Problem an sich sollte bekämpft werden. Wie kommt es, dass Leute so was schreiben können? In Österreich gibt es jetzt ein neues Gesetz. Du kannst gegen Hass im Netz Anzeige erstatten, und es soll wohl auch Schadensersatz geben. Also sammele ich die Drohungen. Wobei ich schlechte Erfahrungen mit der Polizei gemacht habe. Da ist es wohl nicht so die Option, mich an die zu wenden.

COPE  Ich finde daran auch so beängstigend, dass diese Kommentarschreiber ja oft Männer sind, die bezugslos irgendwo sitzen und nicht mehr abgeholt werden können. Die haben einfach krasse Aggressionen.

BM  Auf jeden Fall. Im real life hab ich das auch mitbekommen: Antifeministen sind meistens Männer, die selbst sehr verunsichert sind und sich bedroht fühlen. Und das ist nicht mein issue. Work on that.

COPE  Aber es betrifft dich ja schon – weil es dich bedroht.

BM  Stimmt, es ist doch mein issue.

COPE  Das musst du dann moderieren. Welche Gedanken machst du dir über dein Vokabular?

BM  Als kurdisches Migrantenkind war ich immer sehr unsicher, was meine Aussprache und mein Vokabular und mein Deutsch angeht. Ich wurde in der Schule gemobbt deswegen, ich war nicht immer die Beste in Deutsch, sehr durchschnittlich. Ich bin auf dem Land aufgewachsen und hatte viele weiße Freund:innen und war in einer weißen Bubble, bis ich nach Wien gekommen bin. Ich hatte bis dahin das Gefühl, ich fake mein Vokabular und das bin nicht ich. So spreche ich nicht. Das hat sich in Wien geändert: als ich irakische, kurdische, türkische und ägyptische Freund:innen hatte und gemerkt hab, dass die Leute drauf scheißen, wie sie klingen, und einfach reden, wie sie immer reden. Dann hab ich mich viel wohler gefühlt, und mir war egal, wenn ich Fehler gemacht habe. Das ist eine Unsicherheit, die ich an der Uni weiter habe, vor allem in Politikwissenschaft-Seminaren, wenn dann die weißen Dudes ihre Fachbegriffe raushauen und schnell und monoton reden und so tun, als wären sie Ben Shapiro. Dann fühl ich mich unsicher und nicht genug – das ist was, woran ich arbeiten muss.

COPE  Und die anderen vielleicht auch. Zu merken, was mit anderen passiert, während sie sprechen: Nehme ich sie mit? In meinem Master mussten wir das auch mitreflektieren. Welche Privilegien gibt es in Bezug auf Sprache?

BM  Ein Privileg ist auf jeden Fall Akademikersprache. Das heißt nicht, dass Leute aus der Arbeiterschicht sie grundsätzlich nicht verstehen würden, aber, dass sie nicht für alle zugänglich ist. Meine Mutter würde Karl Marx nicht verstehen, wenn sie ihn liest. Das macht sie nicht zu einer schlechteren Person oder Arbeiterin. Das ist etwas, womit Linke sich sehr befassen müssen. Ich würde auch sagen, dass englische Sprache ein Privileg ist, weil nicht alle den Zugang dazu haben. Ich hab diesen privilegierten Beschluss, alles auf Englisch zu machen, damals gefasst, damit es alle verstehen – aber das stimmt nicht. Mir hat dann eine Followerin gesagt, dass Englisch nicht so inklusiv ist. Das stimmt: Es ist keine Option für alle. Sprache allgemein ist ein Privileg. Es gibt viele gehörlose Menschen, die sich Videos nicht anschauen können, weil es keine Untertitel gibt. Ich schaue, wenn ich Stories mache, in denen ich rede, dass ich Untertitel setze, damit es so inklusiv wie möglich ist. Oder blinde Menschen, die die Slides nicht lesen können, aber dann Lesegeräte haben, wo sie in der Caption nachlesen können, um was es geht.

Ich würde auch sagen, dass bestimmte Sprachen, wie Französisch oder Deutsch, privilegierter sind als andere, weil sie als elitär angesehen werden. Andere, wie Kurdisch, Arabisch oder afrikanische Sprachen, sind nicht so angesehen, und die, die diese Sprachen sprechen, stehen in der sozialen Hierarchie weit unten. Was ist der Unterschied, ob ich französisch oder kurdisch spreche? Es gibt eine bestimmte Konnotation.

COPE  Mit wie vielen Sprachen bist du aufgewachsen und wie bewegst du dich jetzt darin?

BM  Zu Hause haben wir türkisch gesprochen, obwohl wir kurdisch sind. Das liegt daran, dass meine Vorfahren sehr assimiliert wurden durch die türkische Politik, damit die kurdische Identität aufgegeben werden kann. Was sehr gut funktioniert, viele Kurden sind nicht fähig, kurdisch zu sprechen. Ich wurde türkisch erzogen, hab dann in der Schule viel deutsch gesprochen, zu Hause wieder türkisch. Bei mir war’s so, weil ich viele österreichische Freunde hatte, dass das türkisch sehr untergegangen ist. Ich bin noch immer so, dass ich fließend in Deutsch bin, mein Türkisch ist nicht so gut wie mein Deutsch. Ich sprech noch Englisch, Italienisch hab ich vier Jahre gemacht, ich versteh sehr viel, und Kurdisch bringe ich mir privat bei, damit ich quasi diese Assimilationspolitik von mir abwaschen kann. Ich glaub, auf Deutsch träume ich. Englisch ist mehr so für Instagram. Ich verwende auch sehr viele englische Begriffe, und viele nervt das, und ich versuch, dran zu arbeiten, aber es ist voll integriert in meinen Sprachgebrauch, dass ich nicht mehr anders kann. Es gibt halt bestimmte Wörter, die auf Deutsch schrecklich klingen. Zum Beispiel kulturelle Aneignung. Da verwende ich lieber das englische Wort.

Das Interview führte Hannah Schlüter


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Berfîn Marx

ist Studentin, Aktivistin und freie Autorin/Journalistin. In ihrer Arbeit beschäftigt sie sich intensiv mit Anti-Kapitalismus, intersektionalem Feminismus und Anti-Rassismus.

@berfin.marx



Berfîn Marx

ist Studentin, Aktivistin und freie Autorin/Journalistin. In ihrer Arbeit beschäftigt sie sich intensiv mit Anti-Kapitalismus, intersektionalem Feminismus und Anti-Rassismus.

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