COPE
Let me ent-entertain you
von Lasse Eskold Nehren

Irgendwo bei mir um die Ecke gibt es einen Sushiladen, der BRAVOCADO heißt. Das weiß ich, weil kürzlich eine Werbebroschüre von denen bei mir im Hausflur lag. Lag da und tat so, als wäre es total normal, dass Läden BRAVOCADO heißen. Beziehungsweise: als wäre es nicht total scheiße, dass es total normal ist, dass Läden BRAVOCADO heißen. Ist natürlich total normal. Dass Läden BRAVOCADO heißen. Oder HAPPENPAPPEN. Oder GAUMENGANOVEN. Lag da jedenfalls rum und provozierte mich. Raunte mich an: »Na komm. Reg dich halt auf. Der Kapitalismus entheimatet und tötet und diskriminiert, aber klar, be my guest, fahr wegen einer Werbebroschüre aus der Haut.« Lass ich mir natürlich nicht zweimal sagen.
Ich hasse diese Broschüre.
Ich hasse das augenzwinkernde, inhaltlich bestenfalls dürftig gerechtfertigte, den Charme eines PR-Seminars versprühende Zusammentackern von vermeintlicher Lockerheit und In-Obst. Ich hasse das Possierliche daran, das dad-joke-hafte, die Kalauerigkeit des Ganzen. Ich hasse, dass alles, was ich daran hasse, nur Symptome einer offenbar unüberwindbaren Unerträglichkeit sind, die ich hiermit Schmunzelkultur nenne. Wenn ich das Wort Schmunzeln nur höre, geht mir das Messer in der Tasche auf. Weil es nicht nur das leise Geschwister des Lachens ist. Weil es so saturiert ist, so zahnlos und von fadenscheiniger Zufriedenheit. Weil es wie aus einem Strategiepapier der Machtverwaltenden zitiert klingt: »Solange der Volkskörper schmunzelt, steht nichts zu befürchten.« Also werden ihm herzförmige Türmatten aus Plastikgras verkauft, auf denen HERZRASEN steht. Auf dass das bürgerliche Leben auch bis hinein in die letzte Transitzone durchschmunzelt sei.

Ich hasse, dass Sprachakrobat*in ein Kompliment und die Beherrschung von Sprache so sportlich konnotiert ist. Was dann wiederum in Unmöglichkeiten wie Poetry Slams mündet. Ich hasse die Wettbewerbisierung von Sprache und die Vereinnahmung von Sprache durch den Wettbewerb; das sich-Kaprizieren auf Claims und Hashtagbarkeit. Ich hasse die nachkriegsdeutsche Erbauungsprosa eines Heinz Erhardt, deren pathologische Niedlichkeit wie Synthetikfaser ins sonst allzu reißempfindliche Alltagsgewebe der konsum- und optimierungsgestressten Bundesrepublik eingenäht ist und etwa die Namen von Lebensmitteln schmunzelfähig macht. Denken die zugekoksten Schmunzelarchitekt*innen dieser Welt je an die armen Menschen, die am Ende über die Ladenlautsprecher »Herr Meier, einmal die Preise für FLOTTE BIENE und die GURKEN-SCHURKEN bitte!« ausrufen müssen? Wohl kaum. Spätestens nach dem zweiten SKINNY BITCH löst sich alles in verschissenes, von Fahrstuhlhouse eingeseiftes Afterhourwohlgefallen auf; wer ihr*sein Leben der Werbewirksamkeit verschrieben hat, ist mit Schamlosigkeit eh nicht schlechter beraten als mit Sexismus.
Ich hasse, dass Eissorten BESCHWIPSTE ROSIE heißen, ich hasse, trotz eines meinetwegen argumentierbaren Impetus, die Albernheit der dadaistischen Worthaufen Kurt Schwitters’, Hans Arps et cetera, ich hasse die Namen von Frisiersalons. Ich hasse, dass es kaum jemanden interessiert, wenn Sprache nur ansatzweise radikal neu gedacht werden soll, aber oho!, wenn geschmunzelt werden kann: Da simma dabei!, da wird das ganze Land zum Büttenredenpublikum, das dankbar den Tusch mitklatscht, weil beim Mitklatschen, da braucht eins keine Binnenmajuskel, kein Sternchen, keine Gerechtigkeit.
Ich hasse, dass Wodka-Soda SKINNY BITCH heißt.

Ich hasse es, wenn sogenannte Kulturbeauftragte, die mit den BUDDENBROOKS unterm Kopfkissen schlafen, sich subkultursensible Edgyness aber nicht absprechen lassen wollen, Dinge behaupten wie, XY würde die Grenzen von Sprache austesten. Klar. Eins kann auch die Grenzen von Lego austesten, indem eins den MILLENNIUM FALCON falsch zusammenbaut. Mit Sprache – wie mit Essen – wird außerdem gerne gespielt. Der Trick ist, das Ganze zum Konzept zu machen, dann ist es nämlich Kunst. Oder mit ganz viel Pech: Kult. Und wenn mit Sprache gerungen wird, fragt niemand mehr, ob die Sprache sich eigentlich wehrt. Ringen ohne Gegenwehr heißt übrigens verprügeln. Mit Sprache ringt, wer etwas ausdrücken will, aber nicht kann. Menschen, die wirklich mit Sprache ringen, ringen mit ihr um ein Stück Welt. Was sich nicht sagen, nicht ausdrücken lässt, bleibt verwehrt. Die Sprache bezwingen bedeutet: ihr ein Stück Welt entreißen. Mitunter wortwörtlich: Was nicht gesagt, geschrieben, korrekt angekreuzt werden kann, bleibt mitunter schlichtweg verwehrt. Neulich stand ich vor dem Fach mit den Staubsaugerbeuteln und wusste partout nicht, was M40 und S70 unterscheidet. Bin dann wieder nach Hause und habe eben nicht gestaubsaugt. Total egal. Aber was machen die, denen weniger egale Vokabeln fehlen? Gehen wieder nach Hause und nehmen eben nicht am Diskurs teil? Weil sie eingeschüchtert sind, eingeschüchtert werden, von ledrigen Rhetorikmackern? Gehen wieder nach Hause und haben den Job eben mal wieder nicht bekommen, die Wohnung mal wieder nicht bekommen, das Geld mal wieder nicht bekommen? Sprache beherrschen wird da zum validen Anliegen, wo eins ansonsten von ihr beherrscht wird. Jenseits davon ist es allzu häufig Uga Uga im Anzug der Niedlichkeit, performte Überlegenheit. Wortspielereien sind bildungsbürgerliche humblebrags.

Wenn der schon erwähnte Heinz Erhardt etwa Folgendes schreibt –

»Die Augen sind nicht nur zum Sehen,
sind auch zum Singen eingericht’ –
wie soll man es denn sonst verstehen,
daß man von AugenLIEDERN spricht?«

– ist das nicht ein Tausendstel so lustig wie der Umstand, dass eine amerikanische Pornoseite mir ein Video namens FRAU SAUGT HAHN empfiehlt, weil sie – die Webseite, nicht die Frau – die Titel der Videos automatisch in die Landessprache der Surfenden übersetzt. Warum das witziger ist? Weil niemand versucht hat, diesen Witz zu machen. Weil er keine Strategie ist, nicht sedieren und nichts verkaufen soll. Er ist einfach passiert. Stellt eins ihn bewusst her, wird er zum Spruch auf Junggesellenabschiedsshirts. Da kriegt eins es dann mit dem lauten Onkel des Schmunzelns zu tun, der Bierhelm trägt, Männer mit »Chef« und Frauen mit »Na, Mädchen« anspricht. Auch nicht besser, aber immerhin schon von Weitem zu erkennen.

Sprache bietet so unfassbar viel Raum für Missverständnisse. Für Ungenauigkeiten. Tippfehler, akustische Schwierigkeiten, Probleme bei der Übersetzung. Das kann anstrengend sein. Mühsam. Zuweilen tragisch. Aber gerade deshalb auch wahnsinnig komisch. Es hängt Leben an der Sprache. Kompliziertes, trauriges, kotzendes, heulendes, kackendes, fickendes, neunmalkluges, besoffen Hall & Oates hörendes, dreifach gebrochenes Leben. Wahnsinnig geil. Sprache ist messy, und das muss sie sein. Wenn wir irgendeine verfluchte Chance haben wollen, müssen wir uns unterhalten. Nicht unterhalten werden. Nicht in galoppierende Harmlosigkeit verpackt. Ganz ehrlich: Mir sind die ganzen verkackten Kalauer und Wortwitze und alltagsoptimierten Schmunzeleinheiten eigentlich krass egal. Ich halte es nur nicht aus, wenn Sprache steril wird. Wenn alles Floskel wird und Phrase und Schema und Ausweichmanöver. Wenn alles BRAVOCADO wird.

Eben bin ich an HAIRPORT vorbeigefahren. Ich musste lachen. Ich muss da eigentlich immer lachen.
In diesem Sinne: Bis Baldrian.


*
Lasse Eskold Nehren

arbeitet als Lektor, Übersetzer und Autor. Im Textem Verlag erschienen die Notizensammlung distinktion juchei und die Novelle affekt. Ein Roman ist in Arbeit. Er ist Co-Gründer und Mitherausgeber von COPE.

www.eskoldnehren.de



Lasse Eskold Nehren

arbeitet als Lektor, Übersetzer und Autor. Im Textem Verlag erschienen die Notizensammlung distinktion juchei und die Novelle affekt. Ein Roman ist in Arbeit. Er ist Co-Gründer und Mitherausgeber von COPE.

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Ich fordere: Sanktionen für all jene, die das Erzählen zum Dogma erheben und es so verraten.

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